Schostakowitsch und Stalin
eine Hassliebe?

Was fällt Ihnen zum dem Begriff "Systhematischer Terror" in Bezug auf Russland ein?
Genau, die Epoche des Stalinismus!
Aber was hat diese düstere Zeit mit dem Schaffen eines der größten Komponisten der Moderne zu tun?

Schostakowitsch wird oft als Regimekritiker verstanden, wobei er dies aber äußerlich nicht zeigen konnte.
So versteckte er seine wirkliche, kritische Einstellung in seiner Musik.
Dieser Umstand macht den Komponisten Dimitri Schostakowitsch, der zu der Epoche der russischen Moderne gezählt wird,
und sein Leben besonders interessant.


Es empfiehlt sich, dieses Thema parallel zu dem des Kruzifix im Magdeburger Dom zu betrachten bzw. den Text (z.B. durch einen Beifahrer) und die Musik auf der Autofahrt nach Magdeburg zu genießen.


Der Komponist Dimitri Schostakowitsch

Am 12.09.1906 in St. Petersburg (Leningrad) geboren, fing Schostakowitsch schon in jungen Jahren an, zu komponieren.
Mit 19 Jahren beendete er sein Studium am Leningrader Konservatorium mit seiner 1. Symphonie.
Seitdem hatte er verschiedene Lehraufträge an russischen Universitäten und seine Werke genossen - und genießen immer noch - eine hohe Popularität auf der ganzen Welt.

Josef Stalin - Der Diktator
Durch den Tod Lenins im Jahr 1924 begann ein Machtkampf in der kommunistischen Einheitspartei Russlands, der KPdSU, den Stalin 1927 für sich entschied.
Dieser wurde danach schnell zum Alleinherrscher und systematischer Terror beherrschte die sowjetische Bevölkerung.
Das Stalin-Regime produzierte durch geschickte Propaganda und Beeinflussung aller Medien
eine verfälschte Version der Wirklichkeit für die sowjetische Bevölkerung.
Auch die klassische Musik wurde durch diese politische Gegebenheiten beeinflusst.

...ein interdependentes Verhältnis
Mit einem Artikel in der Prawda vom 28. Januar 1936 begann der indirekte Kontakt zwischen Schostakowitsch und Stalin:
Schostakowitschs gesellschaftskritische Oper "Lady Macbeth von Mzensk" wurde aufs Schärfste kritisiert. Die Musik sei "primitiv und vulgär, ächze und stöhne" und eigentlich sowieso "musikalischer Lärm".
Darauf folgte im Februar schnell ein weiterer Artikel, der das Ballett "Der helle Bach", das das Leben auf einem sowjetischen Bauernhof schilderte, schnell zu einem verpöhnten Werke machte. Dies war der Auslöser für die Diffamierung Schostakowitschs in fast der gesamten Musikergemeinde der Sowjetunion.
Niemand traute sich, Partei für Schostakowitsch zu ergreifen und damit Kritik am Stalin-Regime zu üben, niemand hatte die Courage, ihn zu unterstützen und somit die Musik an sich in den Vordergrund zu rücken. Diese wurde jedoch von dem Stalin-Regime gnadenlos ausgenutzt, um ihre Weltanschauung unter der sowjetischen Bevölkerung zu verbreiten.
Doch was störte Stalin an Schostakowitschts Kompositionen?

Die Oper Lady Macbeth von Mzensk hat die Geschichte von Katerina Ismailowa, der Frau eines reichen Kaufmanns, zum Inhalt. Ihre Affäre mit einem von ihr geliebten Arbeiter und ihr darauf folgender Selbstmord werden in der Oper nicht als negativ aufgezeigt. Vielmehr wird der Suizid von Schostakowitsch durch ihre ausweglose soziale Lage legitimiert.
Das durchschnittliche russische Operpublikum war aber großartige Operaufführungen mit viel Prunk und Pracht gewohnt. Die Lady Macbeth von Mzensk brachte die Menschenmassen, die sie trotz ihrer Besonderheit als Besucher genoss, zum Nachdenken und wühlte auf.
Dissonanzen in der Musik, die für eine Oper außergewöhnliche Handlung und die Rechtfertigung von Morden passten nicht in Stalins Weltbild. Es zerstörte das Vertrauen der sowjetischen Volkes und damit musste Stalin selbstverständlich versuchen, die Aufführungen der Oper zu stoppen.

Mit Schostakowitschs 5. Symphonie war er augenscheinlich "rehabilitiert": Die Musik war gemäßigter, weniger aufwühlend. Doch hatte sich Schostakowitsch wirklich vor dem Regime gebeugt? Wahrscheinlich nicht, denn betrachtet man das Werk genauer, so finden sich in der Musik einige Aspekte, die im Nachhinein einen auflehnenden Hintergrund der Symphonie vermuten lassen. Es scheint, als hätte Schostakowitsch eine Art doppelten Boden in das Werk eingezogen:
An der Oberfläche scheint es gemäßigter und zeitgenössisch passend zu sein. Doch bei dem Hinzuziehen von weiteren musikalischen Details und der Geschichte des Werkes findet sich z.B. der Fakt, dass Schostakowitsch auf ein Gedicht von Puschkin anspielt, dass davon handelt, dass ein Kunstwerk auch die schädlichste Kritik überleben werde.
Schostakowitsch kapitulierte also keineswegs vor dem Stalin-Regime, sondern versteckte lediglich seine eigentlich oppositionelle Meinung unter einer unschuldig scheinenden Oberfläche. Damit gewinnt das Bild von Schostakowitsch, der lange Zeit als ein Anhänger Stalins galt, eine völlig neue Bedeutung: Um sich selber zu schützen und weiter komponieren zu dürfen, musste Schostakowitsch formal die Vorschriften des Regimes einhalten. Jedoch schaffte er es, das Böse des stalin'schen Terrors weiter in seinen Werken zu verarbeiten.
In diesem Kontext fällt in den "Memoiren des Schostakowitsch", seiner Biographie, die nach seinem Tod von Solomon Volkow, einem moskauer Redakteur, veröffentlicht wurde, der russische Begriff des Gottesnarren, der genau eine solche Verhaltensweise beschreibt: Die innere Auflehnung gegen etwas, das man äußerlich aber noch zu tolerieren scheint.


Das Werk Schostakowitschs - ein Mahnmal des Stalinismus
Schostakowitschs Musik hat die Epoche des Stalinismus schon lange überlebt und liefert uns doch immer wieder einen Grund, uns mit dieser Zeit des Schreckens und Terror weiter zu beschäftigen. In dieser Musik sind auch Warnungen vor solchen Gräueltaten enthalten: Schostakowitsch verarbeitete durch einen doppelten Boden in seiner Musik das Böse des Stalinismus und warnt uns damit gewissermaßen ständig vor der Unmenschlichkeit einer solchen Diktatur, die propaganda-gestützt das komplette Musikbewusstsein und die Bevölkerung negativ beeinflusst.

Dimitri Schostakowitschs Werk ist ein eindrucksvolles Beispiel für ein musikalisches Mahnmal, dass seine Aussagekraft weit über seinen Tod hinaus bewahrt und uns zu warnen scheint:
"Lasst so etwas nicht noch einmal passieren, verhindert die Diktatur und kämpft für Freiheit und Gerechtigkeit, denn ihr seht, wie es uns ergangen ist!"